Das Ende der Ausgrenzungspolitik: Christian Kern redet mit Heinz-Christian Strache. Hinter den Kulissen hat er das schon öfter getan, am Mittwochabend tat er das aber öffentlich. Es war offenbar ein bewusst gesetztes Signal – an die eigenen Leute, an die Funktionäre und Wähler, aber auch ein Signal an jene Wählerschaft, die die FPÖ in immer größerem Maß an sich binden kann.

Wer sich in der auf Ö1 live übertragenen "Klartext"-Diskussion eine scharfe Konfrontation der Parteichefs von SPÖ und FPÖ erwartet hatte, wurde enttäuscht. Es war eine weitgehend sachliche Diskussion, nahezu freundschaftlich im Ton, höflich und wertschätzend, und die entscheidende Frage blieb offen: Würde die SPÖ mit der FPÖ auch auf Bundesebene koalieren? Kern blieb die Antwort schuldig.

Eine Annäherung zwischen Rot und Blau fand jedenfalls statt, SPÖ-Chef Kern hat sie in der Öffentlichkeit inszeniert. Es ist auch eine strategische Weichenstellung: Die SPÖ hat damit auch die blaue Karte in der Hand, die sie bisher der ÖVP überlassen hatte. Sollte es tatsächlich zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, und das ist aus jetziger Sicht mehr als wahrscheinlich, hat Kern mehr Optionen als nur die niederschmetternde Aussicht auf eine abermalige Fortsetzung der Koalition mit der ÖVP oder den noch schmerzlicheren Gang in die Opposition. Die Aussicht auf eine Koalition der SPÖ mit Grünen und Neos mag für viele in der Partei zwar eine verlockende Variante sein, rein rechnerisch ist das aber eine sehr vage, wenn nicht unwahrscheinliche Option.

Irritationen im eigenen Lager

Kerns Öffnung nach rechts sorgt allerdings für erhebliche Irritationen im eigenen Lager. Die bedingungslose Abgrenzung zur FPÖ war bisher eine rote Linie, an die sich alle Parteichefs seit Franz Vranitzky strikt gehalten hatten. Mit mäßigem politischem Erfolg zwar, wie die Wahlergebnisse zeigen, aber es war ein Alleinstellungsmerkmal. Mit der bewusst gepflegten Gegnerschaft zur FPÖ ließen sich auf allen Ebenen die eigenen Funktionäre und die Wähler gut mobilisieren: Die Angst vor der FPÖ war ein bestechendes Motiv auch für jene, die die SPÖ nur mit großer Überwindung gewählt hatten. Zuletzt hatte das etwa bei der Gemeinderatswahl in Wien im vergangenen Jahr noch ganz gut funktioniert.

Dass sich Kern nun so handzahm gezeigt hat, muss viele in der SPÖ enttäuschen: Er hat den gnadenlosen Populismus, mit dem die FPÖ zu Werke geht, nicht offengelegt, sondern nahezu entschuldigt. Er hat ihre Politik nicht als das benannt, was sie ist, nämlich nationalistisch, rassistisch und fremdenfeindlich. Er hat die Hetze, die alle trifft, die nicht in das eng gestrickte freiheitliche Weltbild passen, nicht thematisiert. Er hat Strache ein Stück weit mehr in die politische Normalität gehoben. Das könnte auch dem freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer helfen.

So weit, so logisch, wenn man sich die FPÖ warmhalten will. Oder um deren Wähler buhlen muss.

Das muss auch viele in der FPÖ irritieren, die sich in der Opferrolle gut eingerichtet und von der Ausgrenzung profitiert haben: Umso leichter ließ sich damit der Kampf gegen das verhasste Establishment inszenieren.

Kerns Flirt mit der FPÖ ist ein gefährliches Spiel: kurzfristig durchaus nachvollziehbar, längerfristig aber schwer bedenklich, wenn der freiheitliche Wertemaßstab in all seinen Auswüchsen damit widerspruchslos in die Mitte der Gesellschaft geholt wird. (Michael Völker, 24.11.2016)